Die Flucht der Deutschen aus dem eigenen Land

Wer auf dem Ross des Zeitgeistes - egal in welche Richtung - mit seiner Lanze durch die Gegend galoppiert, dem bleibt kaum Zeit zum Lesen. So bleibt so mancher Schmöker aus alten Zeiten, trotz interessanter Parallelen zur Gegenwart vergessen, wie der aus der Zeit der Märzrevolution.

In einem Augenblicke wie der jetzige, wo die allgemeine Verwirrung in Deutschland bei bestimmenden und bestimmten Personen auf den höchsten Grad gediehen scheint, dürfte es Pflicht eines Jeden sein, das Seinige dazu beizutragen, um die zerstreuten Parteien wieder unter gemeinsame Fahnen zu sammeln. Der Kampf des verflossenen Jahres hat eine Zersplitterung derjenigen Partei herbeigeführt, welche früher unter dem Namen der Opposition in den gesetzgebenden Körpern und in der Tagespresse Deutschlands stritt. So notwendig diese Zersplitterung kommen musste, nachdem einmal eine einzige Schattierung dieser Partei, die dynastisch-konstitutionelle Fraktion, sich der Märzrevolution bemächtigt hatte und deren Früchte in ihrer eignen Weise ausbeutete, ebenso notwendig wird jetzt, wo auch diese Partei ihres Sieges verlustig gegangen ist, aufs Neue eine Verschmelzung der Parteien, eine Vereinigung derselben zu gewissen gemeinsamen Zielen stattfinden müssen.
Der Absolutismus herrscht unter der durchsichtig gewordenen Maske des Konstitutionalismus unumschränkt in Deutschland durch jene berüchtigte momentane Gesetzgebung, welche ein notwendiges Bedürfnis seines Regierungssystems geworden ist. Das unumschränkte Königtum hat auf dem Wege der Gewalt gesiegt, und es ist, in diesem Augenblicke wenigstens, nicht die mindeste Aussicht vor handen, dass die unterlegene Partei zum zweiten Male an die Gewalt provozieren könne oder werde. Sie wird deshalb andere Mittel und Wege suchen müssen, um das jetzt herrschende System in seinen Wurzeln zu untergraben und seine überstolzen Wipfel zu Fall zu bringen. Bei diesem Bestreben werden den Demokraten ohne Zweifel aufs Neue Bundesgenossen aus den Reihen derjenigen zuströmen, welche die Garantie persönlicher Sicherheit in dem offenen Kampfe vermissten und sich deshalb von demselben zurückzogen. Die ganze konstitutionelle Partei will den Absolutismus nicht, wenn sie ihn gleich durch ihre verkehrte Nachgiebigkeit zur Zeit des Sieges möglich machte; sie will ein gewisses Maß von Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes, dessen die weiter Gehenden ebenfalls als Grundlage ihrer größeren Ansprüche bedürfen; je nackter der Absolutismus auftritt, desto mehr wird er die konstitutionelle Partei zurückschrecken und zur Annäherung an die demokratische drängen.
So wird meiner Ansicht nach sich von Neuem eine geschlossene Oppositionspartei heranbilden, welche stets weiter und weiter nach rechts hin sich ausdehnen und mit jedem Gewaltschritte des jetzt herrschenden Systems neue Bundesgenossen gewinnen wird. Nicht nur die Aufrichtig-Konstitutionellen, sondern auch die, welche aus tiefer berechnetem Konservatismus oder aus angeborener Hofdienerei nur den Schein einer konstitutionellen Regierung wollten, alle diese werden, getäuscht in ihren Hoffnungen, Gegner eines Systems werden, welches die Maske jetzt abgeworfen und seine wahre Gestalt gezeigt hat. Erfahrungen früherer Jahre und anderer Personen fruchten wenig in politischen Dingen; die Parteien wollen selbst erfahren an ihren eigenen Schicksalen, was ihnen frommen möge; und leider versäumen sie, bis sie zu solcher Einsicht gelangt sind, sehr oft den richtigen Zeitpunkt zum Handeln.
Die Stellung der Opposition hat sich durch den Sieg des Absolutismus wesentlich verändert: Aus einer angreifenden ist sie eine verteidigende geworden. Während sie früher die alten Formen zu zertrümmern und Neues an ihre Stelle zu setzen suchte, hat sie jetzt die Aufgabe, auf jede Weise, durch jedes ihr zu Gebote stehende Mittel den Angriffen des Absolutismus auf die Errungenschaften der Revolution entgegenzutreten und diese soweit als möglich zu erhalten. Die Partei der momentanen Gesetzgebung ist jetzt die zerstörende, die Partei der Opposition die konservative geworden, welche den in Folge der Revolution gewordenen Rechtsboden zu erhalten strebt. Wenn aber dies richtig ist, so muss es auch jedenfalls den Verteidigern der Freiheiten, welche der März 1848 bringen sollte, von Wichtigkeit sein, sich die Zielpunkte der Feinde klar zu machen und nach den zu erwartenden Angriffen ihre Maßregeln zu treffen.
Es ist der Kampf gegen die Unterdrücker des eigenen Stammes, dessen unglücklicher Ausgang die Flüchtlinge aus ihrem Vaterlande verjagt und so meistens Besitzlose oder solche, deren Erwerb an ihren Aufenthaltsort gebunden war, in die Fremde verstoßen hat. Die aus anderen Völkern hervorgegangenen Emigrationen sind deshalb wohlhabend zu nennen im Vergleich zu der deutschen. Es scheint die Absicht der verbündeten Regierungen zu sein, um jeden Preis das Meer zwischen die Flüchtlinge und das pazifizierte Deutschland zu bringen.
Die Aufgabe der Opposition hinsichtlich der Einheit Deutschlands besteht in der Zurückweisung eines jeden Vorschlags, welcher von der Regierung gemacht werden könnte, in der Nichtbeteiligung an einer jeden Handlung, welche zur Verwirklichung eines solchen Vorschlags sichern könnte, und in dem unabänderlichen Festhalten der Grundrechte, welche von der Nationalversammlung festgestellt wurden. In dem Festhalten dieser Grundsätze darf die Opposition keine Drohung, keine Auflösung der Kammern scheuen; — sie muss unbekümmert um alle Folgen ihrer Handlungen fest dabei stehen bleiben und die Regierung zwingen, entweder nachzugeben oder gegen das Repräsentativsystem selbst mit Gewaltmaßregeln vorzuschreiten. Nur auf diese Weise kann es ihr gelingen, den Geist in dem Volke wach zu halten und zu stets allgemeinerem Widerstand zu stählen; nur indem die Opposition die Fahne der Einheit unbefleckt für künftige Zeiten erhält, kann sie hoffen, die selbe auch triumphieren zu sehen.
Eine neue Erhebung des Volkes wird und muss kommen; — wann sie aber eintreten wird, darüber möchte ich mir keine Vorhersage anmaßen. Für eine solche Zeit der Erhebung aber sind die vorhergehenden Worte nicht geschrieben, sie wird sich andere Zielpunkte stecken und andere Mittel haben, sie zu erreichen; und sie wird hoffentlich, gegenüber der Verbrüderung des Despotismus in allen Staaten, sich erinnern, dass auch die Freiheitspartei aller Länder sich innig verketten und verbrüdern muss, wenn sie die gemeinsamen Ketten sprengen soll, welche das Jahr 1848 schüttelte, das Jahr 1849 aber nur um so fester anzog. Stemmen wir uns, damit sie springen!
Bern den 24. September 1849